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Zeitenwende ohne Plan

Am 27. Februar verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz angesichts des völkerrechtswidrigen Überfalls von Russland auf die Ukraine im Deutschen Bundestag, dass Deutschland und Europa gerade eine Zeitenwende erleben. Ich glaube, dass den meisten Menschen bewusst war, dass diese Wende herausfordernd und anspruchsvoll für die gesamte Gesellschaft werden wird. Jedoch scheint unsere Bundesregierung an diesem radikalen, politischen, ökonomischen und sozialen Wendepunkt den Kurs verloren zu haben, wenn es denn je einen gab. Es wird zunehmend deutlich, dass die Energiepreise für Bürger, Unternehmen und Kommunen bedrohliche Ausmaße annehmen. Die staatlich veranlasste geplante Gasumlage zur Rettung der Energieversorger wird als alternativlos bezeichnet. Angesichts der massiven Probleme im Zuge des Krieges in der Ukraine und der folgenschweren Sanktionen gegen die Russische Föderation kann man zu diesem Schluss kommen. Doch darf man auch die Frage stellen, ob die politisch Verantwortlichen in Brüssel und Berlin ihre Außen- und Sicherheitspolitik und Sanktionsstrategie gegen den russischen Präsidenten bis zu Ende gedacht haben. Es verstärkt sich bei den Menschen der Eindruck, dass sich diese Null-Gespräche- und die Sanktionspolitik gegenüber dem russischen Aggressor zum Bumerang für die europäische Versorgungssicherheit entwickelt. Und es drängt sich in Deutschland die Frage auf, wer die industrielle Wertschöpfung in unserem Land und Millionen von Arbeitsplätzen noch sichert. Wer gibt die Gewähr dafür, dass in den nächsten Monaten und Jahren die Versorgung mit Wärme, Strom und dem gesamten Lebensbedarf überhaupt noch bezahlbar bleibt?

Unsere derzeitige Regierung zeichnet sich durch eine erschreckende Vielsprachigkeit mit teilweise sich widersprechenden Konzepten aus. Der Bundesfinanzminister beharrt einerseits auf der Einhaltung der Schuldenbremse. Unser Bundeskanzler kündigt andererseits weitere bisher unkonkrete Entlastungspakete für die Bevölkerung an. Die Medien überschlagen sich mit unterschiedlichsten Schreckensnachrichten und für jedes Krisenszenario tauchen immer neue Experten auf. Das verunsichert die Bevölkerung und die Wirtschaft. Sie werden orientierungslos zurückgelassen. Dabei drängt die Zeit bis zur beginnenden Heizperiode.

Eine Reihe von Maßnahmen, die der Versorgungssicherheit, der Begrenzung der Kosten und letztlich auch der notwendigen Energiewende dienen, sind sicher notwendig. Die Stadt Flöha hat über ihr städtisches Energiemanagement bereits seit 2015 ihre Verbraucherkosten bei öffentlichen Gebäuden und technischen Einrichtungen um 40 Prozent reduzieren können. Weitere maßvolle und vertretbare Einsparmaßnahmen bei Verbräuchen werden in ihrer Wirksamkeit derzeit von uns überprüft. Alle öffentlichen Bereiche und die Wirtschaft setzen ebenfalls sehr verantwortungsvoll weitere machbare und sinnvolle Schritte hierbei um. Auch bei vielen Privathaushalten steigt das Bewusstsein der Kostenreduzierung im Energiebereich. Aber vor allem muss doch unserer Bundespolitik endlich dem derzeitigen Krisenmodus angepasst und neu ausgerichtet werden. Der Ausstieg aus russischen Gasexporten kann nur langfristig angelegt sein und mit umweltfreundlichen Alternativen zur Energieerzeugung kompensiert werden. Genau das meint der Sächsische Ministerpräsident mit einer Neujustierung unserer Energiepolitik. Panische Zukäufe von Brennstoffen aus Ländern, die vor Monaten für unsere Wertegemeinschaft undenkbar waren oder von umweltschädlicher Fördertechnologie, wie das Fraking, sind unserer Gesellschaft nicht würdig und zeugen von wenig Nachhaltigkeit. Im Gegenzug wird eine mit milliardenschweren Steuergelden errichtete Gasleitung aus Sanktionsgründen garnicht erst in Betrieb genommen. Das zeugt von keiner klaren Krisenstrategie.

Natürlich haben Europa und insbesondere Deutschland im Rahmen der Globalisierung sich auch von Russlands Gaslieferungen wirtschaftlich stark abhängig gemacht. Die Diskussionen über vermeintliche politische Fehler der Vergangenheit sind in der jetzigen Situation weder hilfreich noch ehrlich. Denn alle bisherigen fünf Regierungsparteien der letzten dreißig Jahre haben diese Entwicklung mitgetragen. Und liegt es doch in der Natur der Verflechtung des globalen Welthandels, angesichts der sich stets beschleunigten Industrialisierung, auch mit Ländern und Regierungen, die unsere demokratischen Werte nicht teilen, Handel zu treiben. Nicht nur mit Russland. Politische Konflikte oder territoriale Auseinandersetzungen zwischen den Handelsnationen führten historisch rückblickend dann immer zu Verwerfungen. Diese politischen oder militärischen Konflikte jedoch mit Sanktionen lösen zu wollen, unter dem Risiko des Opferns der wirtschaftlichen Zukunft und des sozialen Friedens im eigenen Land, halte ich für nicht zielführend und sehr gefährlich.

In der jetzigen Situation ist die Ausrufung des nationalen Energienotstandes und eine Preiskontrolle bei der Entwicklung der Marktpreise unausweichlich. Durch den Teilausfall der Stromerzeugung aus französischen Atomkraftwerken hat sich das Angebot auf dem europäischen Strommarkt im Sommer weiter verringert und lässt die Marktpreise explodieren. Die Energiekonzerne schöpfen aus der Krise Riesengewinne ab. Eine solidarische Gewinnabgabe ist das Mindeste, was die Profiteure dieser Krise unserer Gesellschaft schuldig sind. Und auch der Staat hat durch die derzeitigen inflationären Preisentwicklungen immense Steuermehreinnahmen verbucht. Dieses Geld muss für eine zielgerichtete Abfederung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen in dieser Notlage eingesetzt werden. Die Endverbraucher müssen durch die Vervielfachung der Preise bei Wärme sowie Energie und Gaskunden mit der verkündeten Gasumlage rechnen. Gerade Menschen mit mittlerem oder geringem Einkommen sorgen sich um ihre soziale Sicherheit und der gesamte Mittelstand sieht sich in seiner wirtschaftlichen Existent bedroht. Wie sich die derzeitige Entwicklung der Energiepreise auf die Betriebskosten der kommunalen Grundstücke und Gebäude und auch auf die Gesamthaushalte in den Städten, Gemeinden und Landkreise auswirkt, ist noch nicht absehbar. Hier braucht es schnelle und klare Signale von der Bundesregierung und dem Freistaat, da sonst zahlreiche freiwillige Leistungen der Städte und Gemeinden kaum noch finanzierbar sein werden. Auch Wohnungsunternehmen und Versorger befürchten durch die Zahlungsunfähigkeit vieler Mieter und Kunden eine wirtschaftliche Schieflage. Deshalb ist der jetzt stattgefundene „Energiegipfel“ der Sächsischen Landesregierung mit Vertretern aus Wirtschaft, kommunalen Spitzenverbänden, Sozialverbänden und Verbraucherzentralen genau das richtige Signal, den Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass ihre Ängste ernst genommen werden und sich mit wirksamen Hilfen beschäftigt wird.

Unsere Bundesregierung muss ihre derzeitige Krisenstrategie schnellstens überdenken und im Interesse Deutschlands und Europas endlich für ideologiefreie, erklärbare und tragbare Konzepte zur Bewältigung dieser dramatischen Entwicklung gemeinsam mit den Bundesländern auf den Weg bringen. Denn wenn Millionen Menschen sich heute existenzielle Sorgen machen, hat die Bundesregierung im Krisenmodus alles zu tun, um ihnen zu helfen. Es müssen soziale Notlagen und nachhaltige wirtschaftliche Schäden von unserem Land abgewendet werden. Nur so kann auch das Vertrauen in die Politik und unser Gemeinwesen wiederhergestellt werden.

Volker Holuscha
Oberbürgermeister

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